Newsletter von M. Sulzbacher: "Flood the zone with shit" & die Liederbuchaffäre
Liebe Leserin, lieber Leser,
im Dezember des vergangenen Jahres hat der „Wochenblick“ seine Berichterstattung eingestellt. Aus wirtschaftlichen Gründen, wie Geschäftsführer Norbert Geroldinger erklärte. Zuvor war der „Wochenblick“ erneut scharf vom Presserat kritisiert worden. Mit der Veröffentlichung eines Videos, das eine Vergewaltigung auf offener Straße zeigt, hatte das rechts-außen Medium schwerwiegend gegen den Ehrenkodex für die österreichische Presse verstoßen. Der Presserat stellte in einer Aussendung fest, dass die Menschenwürde und Intimsphäre der vergewaltigten Frau „grob missachtet“ worden sei. Die vermittelte Grausamkeit sei „verstörend und erschütternd“.
Auch Sellner veröffentlichte das Video
Das Video wurde im Rahmen des Beitrags "Bestialisch: Afrikaner vergewaltigt Ukrainerin (55) in Italien auf offener Straße" im August dieses Jahres auf der Onlineseite der Wochenzeitung "Wochenblick" veröffentlicht. Zu sehen ist die Aufnahme einer Überwachungskamera, die die Vergewaltigung zeigt. Auch die Schreie der Frau sind zu hören. Martin Sellner, der Anführer der rechtsextremen Identitären, hat das Video auf seinem Telegram-Kanal veröffentlicht. Während der Pandemie, sorgte der Wochenblick mit Verschwörungserzählungen regelmäßig für Aufsehen und Kritik.
“Der Status” an den Start gebracht
Einige Mitarbeiter*innen des „Wochenblicks“, darunter die Chefredakteurin Bernadette Conrads, haben Anfang Jänner nun ein neues Projekt an den Start gebracht. „Der Status“, bringt Online-Artikel, die wohl auch der „Wochenblick“ veröffentlicht hätte. „Westen hinter Nord Stream-Anschlag?“ wird etwa gefragt. Corona und „Great Reset“ sind bisher offenbar Schwerpunkte von „Der Status“. Conrads war vor ihrer Zeit beim „Wochenblick“ bei der FPÖ aktiv und nahm an einer Demonstration der Identitären in Wien teil. Ein Foto zeigt, wie sie in der ersten Reihe mit den Rechtsextremen marschierte.
Screenshot: “Der Status”
„Der Status“ reiht sich, neben Auf1 und Report24, in den rechten Propagandacluster ein, der seit einigen Jahren in Österreich besteht. Ziel der Medien scheint es auch zu sein, Verunsicherung zu verbreiten. „Flood the zone with shit“, nannte der zeitweilige Donald-Trump-Berater Steve Bannon diese Strategie. Soll heißen: Überflute die Leute mit unsinnigem, hetzerischem, absurdem, faktenverdrehendem, aber für Uninformierte glaubwürdigem Zeug. Es reicht oft, dass man sagt: Es gibt nicht nur eine Erklärung, sondern fünf verschiedene Thesen. So lange, bis auch normale Bürgerinnen und Bürger nicht nur nicht mehr wissen, was die Fakten sind, sondern auch glauben, dass es prinzipiell gar keine gesicherten Fakten gibt. Oder überhaupt keine Wahrheit.
Wem nützt das? Den rechten Parteien und ihren Freunden (in Moskau). In einem Zustand extremer Desorientierung sind Menschen eher geneigt, dem nächsten populistischen Führer zu folgen. (Markus Sulzbacher, 12.1. 2023)
—
Burschenschaften im Verfassungsschutzbericht
Im vor wenigen Tagen veröffentlichten Verfassungsschutzbericht 2021, findet sich auch ein eigener Beitrag über Burschenschaften, in vorangegangenen Berichten wurden sie seit Jahrzehnten nicht mehr erwähnt – obwohl Männer aus diesem Milieu maßgeblich den Rechtsextremismus in Österreich prägen. Ob Jörg Haider, Gottfried Küssel oder Aktivisten der Identitären, sie alle waren oder sind bei deutschnationalen Burschenschaften aktiv.
Foto: Haus der Burschenschaft Teutonia in Wien, die als besonders stramm rechts gilt.
Angeblich waren es FPÖ-Politiker, die „ihre Burschenschaften“ aus den Verfassungsschutzberichten rausreklamiert haben, als sie im Jahr 2000 eine Regierung mit der FPÖ bildeten. Der damalige Chef des Verfassungsschutzes sagt hingegen, er habe dies selbstständig veranlasst.
Mich erinnerte der Eintrag im Verfassungsschutzbericht an die Liederbuchaffäre, die Anfang des Jahres 2018 für Schlagzeilen sorgte und geradezu grotesk endete.
Das groteske Ende der Liederbuchaffäre
Anfang 2018 berichtete die Wiener Stadtzeitung „Falter“ von einem Liederbuch der Burschenschaft „Germania zu Wiener Neustadt“, in dem der Judenmord und das Naziregime verherrlicht wird. Der Skandal platzte in den Wahlkampf für die niederösterreichische Landtagswahl, denn stellvertretender Vorsitzender der „Germania“ war der FPÖ-Spitzenkandidat Udo Landbauer.
In einem der Texte hieß es unter anderem (in Anspielung auf die Vergasung von sechs Millionen Juden unter der Nazi-Diktatur): „Da trat in ihre Mitte der Jude Ben Gurion: ,Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million.’“ Es folgte eine Hausdurchsuchung, bei der Gesangbücher mit geschwärzten Passagen beschlagnahmt wurden.
Verfahrenseinstellung
Landbauer distanzierte sich, legte seine Funktionen bei der Germania und in der Folge auch alle politischen Funktionen zurück. Im Zuge der polizeilichen Ermittlungen wurde er als Zeuge einvernommen.
Im August 2018 erfolgte die Verfahrenseinstellung gegen die für die Zusammenstellung und Illustration der Liederbuchausgabe Verantwortlichen. Wenige Tage später gab Landbauer sein Comeback. Dem Rücktritt vom Rücktritt folgte am 20. September 2018 die Angelobung als Mandatar im Niederösterreichischen Landtag. Dieses Jahr ist er wieder FPÖ-Spitzenkandidat bei den Landtagswahlen, die Affäre wird nur mehr in Nebensätzen erwähnt.
Seiten mussten entfernt werden
Im April 2019 wurde die Liederbuchaffäre am Bezirksgericht Wiener Neustadt beendet. Die Staatsanwaltschaft hatte die Vernichtung der Gesangbücher gefordert, die Germania hatte sich dagegen ausgesprochen. Das Bezirksgericht entschied jedoch, dass die Seiten mit antisemitischen Texten entfernt werden müssen. Schließlich schnitt der Obmann der Germania in Anwesenheit eines Vertreters der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt und unter Aufsicht einer Richterin die inkriminierten Seiten der 19 beschlagnahmten Liederbücher heraus. Danach durfte er sie wieder mitnehmen. (Markus Sulzbacher, 12.1. 2023)
—
Im STANDARD habe ich in den vergangenen Wochen diese Artikel geschrieben, ich habe sie verlinkt:
MFG, Identitäre und krude Abtreibungserzählungen auf der ersten "Megademo 2023"
"Sieg Haider": Vor 30 Jahren wurde der jüdische Friedhof in Eisenstadt geschändet
—
Wenn Sie Freunde und Bekannte haben, denen mein Newsletter gefallen könnte, dann leiten Sie diesen Newsletter doch einfach an sie weiter. Tausend Dank!
Ich freue mich auch über Feedback. Der Newsletter musste umziehen (Dank Herrn Musk), er ist nun auf Substack zu finden. Verzeihen Sie bitte etwaige Probleme - cih arbeite daran.
Markus Sulzbacher
Am Dienstag war ich beiner Straßenblockade von Klimaaktivist*innen in Wien. Hier zwei Fotos:
Das ist ein privater Newsletter zu aktuellen Themen. Die im Newsletter vertretenen Meinungen sind die meinen. Eine detaillierte Datenschutzerklärung finden Sie hier: https://substack.com/privacy