Newsletter von M. Sulzbacher: Rechtsextreme wollen Twitter "zurückerobern" & lückenhafte Ermittlungen
Liebe Leserin, lieber Leser,
diese Woche habe ich im STANDARD über Soldaten und Polizisten geschrieben, die trotz Verurteilung wegen NS-Wiederbetätigung weiterhin im Dienst sind. Ich habe den Artikel verlinkt:
Wegen NS-Wiederbetätigung Verurteilte bei Bundesheer und Polizei aktiv
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Trollen statt Aktivismus
Der Anführer der rechtsextremen Identitären will künftig leiser treten. Am Vorabend seines 34. Geburtstages, kündigte Martin Sellner in einem Video an, dass seine Phase des „Aktivismus“ zu Ende gehe. Eine Phase, die 17 Jahre dauerte, wie Sellner erklärte.
Da die Identitären 2012 gegründet wurden, rechnete er seine Aktivitäten in der Neonazi-Szene dazu.
Sellner setzt auf “Infokrieg”
Künftig möchte er sich auf den „Infokrieg“ konzentrieren. Keine leichte Aufgabe, da er bereits vor Jahren von wichtigen Online-Plattformen wie Twitter und Youtube gesperrt wurde. Was er unter „Infokrieg“ versteht, ist auch auf Telegram zu beobachten. Sellner betreibt einen eigenen Kanal, über den er seiner Gefolgschaft ständig Hinweise gibt, welche Onlineartikel kommentiert werden sollen, oder wie bei Online-Umfragen abgestimmt werden soll. So sollen rechtsextreme Positionen in die Mitte der Gesellschaft getragen werden.
Andererseits weist er auf Tweets hin, deren Verfasser:innen attackiert oder diskreditiert werden sollen. Diese werden dann von anonymen Accounts angepöbelt, mit Polemik oder Whataboutism eingedeckt und bei Twitter als „Hatespeech“ gemeldet – so wollen sie erreichen, dass der Twitter-Algorithmus Accounts automatisch sperrt.
Twitter sieht Sellner als enorm wichtig an. Er will Themen „trenden“ lassen, also Themen setzen, die bestenfalls von anderen Medien aufgegriffen werden. Dafür ruft er seine Gefolgschaft zu einer „Twitter Reconquista“ auf. Seit Elon Musk Twitter gekauft hat, setzen Rechtsextreme weltweit wieder auf Twitter. Ihnen kommt dabei Musk zu Hilfe, der unter Meinungsfreiheit versteht, bereits gesperrte Rechtsextreme oder Verschwörungsideologen wieder auf die Plattform zu lassen. Auch können einfach Follower gekauft werden, um Accounts größer erscheinen zu lassen.
54 Konten verloren
Der gesperrte Account Konten verlorenvon Sellner wurde bisher nicht freigeschaltet, daher ist er mit einem anderen Account aktiv. Neben dem Rauswurf von Youtube und Twitter hat Sellner damit zu kämpfen, dass Banken und Zahlungsdienstleister ihn nicht als Kunden haben wollen. Bisher hat er 54 Konten verloren, wie er vor wenigen Tagen auf Telegram schrieb. (Markus Sulzbacher, 27.1. 2023)
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Terroranschlag vom 2. November: Volksanwaltschaft kritisiert Innenministerium
Die Volksanwaltschaft ist so richtig sauer. Anders ist es nicht zu beschreiben. Im Zusammenhang mit dem Terroranschlag in Wien vom 2. November 2020 übt sie scharfe Kritik am Innenministerium. In einem am vergangenen Mittwoch offiziell vorgestellten „Sonderbericht“ werden lückenhafte Ermittlungen, Fehleinschätzungen und Rechtsirrtümer bemängelt. Über Monate beschäftigte sich die Volksanwaltschaft mit der Terrornacht, in welcher der islamistische Attentäter vier Personen ermordete, bevor er selbst von der Polizei erschossen wurde.
“Was wollt ihr eigentlich?”
Vor Journalist:innen berichtete Volksanwalt Walter Rosenkranz (FPÖ), dass sich das Innenministerium gegen eine Zusammenarbeit sträubte – nach dem Motto „Was wollt ihr eigentlich?“. Der Volksanwaltschaft wurde die Akteneinsicht verweigert und Fragen wurden nicht beantwortet. „Unzulässig, auf Basis eines Rechtsirrtums“, wie Rosenkranz ausführte. Immerhin wurden die Akten vom Justizministerium „ruckzuck“ geliefert.
In dem Bericht der Volksanwaltschaft wird vor allem das Verhalten der Beamten im Landesamt für Verfassungsschutz (LVT) Wien gerügt. Es habe mehrere Hinweise gegeben, wie gefährlich der spätere Attentäter sei – und zwar schon Monate vor dem Anschlag, etwa als das BVT von Europol Slowakei am 27. Juli 2020 darüber informiert wurde, dass der Mann Munition für eine AK-47 („Kalaschnikow“) kaufen wollte. „Es gab keine Eile“, sagte Rosenkranz.
Erst am 20. Oktober wurde der spätere Attentäter schließlich eindeutig identifiziert, aber auch dann gab es keine Meldung an die Staatsanwaltschaft, kritisiert der Volksanwalt. Schließlich hätte die Staatsanwaltschaft aktiv werden können und klären, warum ein vorbestrafter Jihadist Munition für ein Sturmgewehr kaufen wollte. Die Unterlassung einer Meldung sei ein „Verwaltungsmissstand“, findet die Volksanwaltschaft. Sie empfiehlt Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) nun eine „lückenlose disziplinarrechtliche Aufklärung“ der Versäumnisse im Verfassungsschutz.
Von mangelnden Ressourcen war darin keine Rede
Der Sonderbericht bricht auch mit bisherigen Erzählungen, die sich im offiziellen Untersuchungsbericht zum Terroranschlag finden. So ist im Bericht der Volksanwaltschaft nichts davon zu lesen, dass Beamte des Verfassungsschutzes zu wenig Ressourcen hatten. In seiner Stellungnahme an die Volksanwaltschaft führte das Innenministerium rein rechtliche Argumente für die Unterlassung an. Von mangelnden Ressourcen war darin keine Rede. Dabei waren die fehlenden Ressourcen ein Argument, um den Verfassungsschutz mit mehr Geld auszustatten. (Markus Sulzbacher, 27.1. 2023)
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Ich freue mich auch über Feedback. Der Newsletter musste umziehen (Dank Herrn Musk), er ist nun auf Substack zu finden. Verzeihen Sie bitte etwaige Probleme - cih arbeite daran.
Markus Sulzbacher
Foto: Demonstration am 19. Jänner gegen den Keller der Identitären in Wien 1050.
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